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Kurzbeschreibung der Handschrift
Verfasser: Orosius (ca. 380/90 – nach 418)
Titel: Historiarum adversum paganos libri VII
Entstehungszeit: 9. Jh., vor 883
Entstehungsort: St. Gallen, wohl identisch mit dem Volumen Orosii der Privatbibliothek Hartmuts (MABK 1, S. 87)
Klassifikation in den Editionen: In der Edition von Zangemeister (CSEL 5, Wien 1882, S. XXf.) mit Kürzel G versehen; von Arnaud-Lindet (Paris 1990f., S. XC [Stemma]) als codex mixtus bezeichnet, der gemeinsam mit dem Cod. Einsiedlensis 351 (Textzeuge J), auf eine Grundlage γ'''' zurückgehe, die Elemente aller drei Manuskriptklassen enthalte.
Umfang:
356 S.
Format: 2°, Einband 36 x 27,4 cm; die Seiten 34,5 x26 cm, mit Ausnahme von S. 1f., 333f. und 355f.
Material: hochwertiges Ziegenpergament, F weiß, H gelblich mit Poren; Einband aus hellem Leder auf Holz (9. und 15. Jh., stark wurmstichig); Mittelschließe HDK-VDK (18. Jh.), Titelschild Orosius prespiter Textualis (15. Jh.) auf Pergament (Bruckner III, S. 114, und Scarpatetti, S. 219)
Seitenlayout: Schriftspiegel 25,5 x 18,5 cm, zweispaltig (Spalten a und b) zu in der Regel 28, teilweise 27, 26 und 25 Zeilen; Blindlinierung für den Grundtext, jedoch nicht für die Glossen, Zirkellöcher; lückenlose Paginierung von Ildefons von Arx
Lagenstruktur: 20 Quaternionen inkl. drei unregelmäßige Lagen IV[-1]17–30 (vor S. 19 ist ein Bogen halb beschnitten), III335–346 und III[-1]347–356 (nach S. 352 wurde ein Blatt herausgeschnitten). Beginn Lage III S. 31, von zeitgenössischer Hand als Lage II bezeichnet, von II–XX konsequent durchnummeriert.
Schrift und Hände:
St. Galler Carolina (leichte Rechtsneigung der Schrift, Betonung des Mittelkörpers, kurze Oberlängen), laut Scherrer, S. 202, von einer, nach Scarpatetti, S. 219, von mehreren geübten Händen. Die Schwierigkeit der Abgrenzungen zeigt sich beispielsweise beim Durchblättern der S. 20–22, wo die Schriftgröße des Grundtextes variiert. Beispiele von Schreiberhandwechseln S. 185a5–21 (Einschub) und wohl auch S. 188b11. Passim eine bisweilen starke Rechtsneigung der Minuskel m beobachtbar. Bei den e caudata und den Minuskel z Variationen, zur Gegenüberstellung etwa die S. 19b5/b9/b18 und 175b8 sowie S. 29b13ff. und 45a14/a12/a26f. Die Tinte ist dunkelbraun, bisweilen geht sie ins Rostbraune über. Auszeichnungsschriften in Capitalis Rustica.
Optisch ist die Handschrift gekennzeichnet von wenigstens zwei kompletten Überarbeitungs- und Glossierungsdurchgängen mit Tinte, die mit hoher Wahrscheinlichkeit dem 10./11. Jahrhundert zuzurechnen sind. Die manus posterior entspricht der Hand Ekkeharts IV. (11. Jh., blassbraune Tinte, unzählige Rasurspuren, verhältnismäßig große Glossenschrift, wackliges Schriftbild). Es ist nicht auszuschließen, dass auch die meisten früheren Spuren auf Ekkeharts Hand zurückgehen (vgl. z. B. S. 109). Neben einigen Korrekturen von Schreiberhand (9. Jh.) finden sich vereinzelt jüngere additamenta (13.–15. Jh.). Unter den über 7000 lateinischen Tintenglossen unterschiedlichen Charakters sind nur 15 volkssprachige auszuscheiden (StSG II, S. 358f., und IV, S. 453 (Nr. 206); Neufund: S. 262a8f. liburnicis pares] quas barbari sceidas uocant.). Die römischen Kapitelnummern sind teilweise (von Schreiberhand?) als Hinweis für den Rubricator mit stumpfem Griffel in den Rand eingedrückt worden; zusätzlich finden sich die kürzeren Kapitelüberschriften der Bücher I–IV oft mit Griffel in den unteren Seitenrand oder – wenn Platz vorhanden war – auf der Höhe der Kapitelnummer in den Rand geritzt. Als Beispiel für die St. Galler Tradition, den Griffel als Vorschreibwerkzeug für spätere (interlineare) Tinteneintragungen zu nutzen, die Variantenglosse S. 293a3 alias titulorum am linken Seitenrand, die eine identische interlineare Tintenglosse zu negotiarum zur Folge hatte. Sie ist mit Sicherheit älter als die Glosse in Zeile 4 (Ekkeharts Hand). Auf S. 293b6 wird die Griffelglosse von der identischen Tintenglosse (alias uestiliani zu uestali im Grundtext) überlagert. Griffelkritzeleien wie Kreuze oder Kreise finden sich auf mehreren Seiten (z. B. S. 69 unten (karolingisches Flechtwerk) oder S. 348a untere Ecke).
Inhaltsangabe:
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S. 1 Einträge von Jodocus Metzler und Ildefons von Arx; Spuren von Griffelskizzen (Gebäudeaufriss)
- S. 2 Sancte laurenti ora pro nobis seitenverkehrt, wohl probatio pennae, 12./13. Jh. (von der selben Hand wie clauos christi am oberen Rand von S. 234f.)
- S. 3a Besitzeintrag, 15. Jh.; Beginn einer computatio anni CCCCLII (MGH AA IX, S. 149–153), die auf S. 4b endet
- S. 5a–30b capitulationes ex corpore libri huius sancti Orosii
- S. 31a–33a Praefatio libri primi; Oros. 1,prol.,1 – 1,1,3
- S. 33b Incipit liber primus sancti Orosii presbyteri; Buch I beginnt hier mit Oros. 1,1,4
- S. 35b, 37b und 42a: drei Kartenskizzen (vgl. Miller, Mappaemundi, S. 62, et al.)
- S. 68b Incipit liber secundus sancti Orosii
- S. 97a Incipit hystoriarum sancti Orosii liber tertius
- S. 133a Incipit liber quartus hystoriarum sancti Orosii praesbyteri
- S. 175a Incipit liber quintus
- S. 223a Incipit liber sextus sancti Orosii presbyteri
- S. 252 verblasste Schlachtordnung Triplex ordo Pompeii . Triplex ordo Iulii, Illustration zum Grundtext (Oros. 6,23,15f.), in dem die ordines triplices der beiden Heerführer beschrieben sind
- S. 270a Incipit liber septimus hystoriarum sancti Orosii
- S. 321b20–23, zwei autographe Zeilen Notkers des Deutschen Has duas lineas amandas domnus Notkerus scripsit . Uiuat anima eius .
in domino (in der Literatur häufig zitiert; abgezeichnet in MGH SS II, Tab. VI, zwischen S. 100 und 101, jedoch nicht nur mit falscher Zuweisung (Notker Balbulus), sondern auch mit falscher Seitenangabe (S. 64) versehen), von IvA auf S. 1 transkribiert
- S. 338b–351b Additamenta ex Eusebii historia ecclesiastica 1,1,8 – 1,4,8 (Schwartz/Mommsen, GCS II/1, S. 9–41); einzufügen nach Oros. 7,2,16 (S. 274b10), siehe auch caS. 7,XLVIII, S. 30b20–24, leider überlagert durch Bibliotheksstempel
- S. 343 lup(o?) in der oberen rechten Ecke, von Bruckner III, S. 114, als Schreibername interpretiert
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S. 351b15–24 Vermerk bezüglich der Nützlichkeit der Historiae adversum paganos und zum Auftrag Notkers an Ekkehart, die Handschrift zu korrigieren. Starke Rasur, darunter Transkriptionsversuch von Jodocus Metzler
- S. 352 De lege Dictamen ornandi, Autograph Ekkeharts IV. einem frater Ymmo, späterer Abt von Münster im Elsass, gewidmet (MGH Poet. Lat. V/1, S. 531–533)
- S. 353 künstlerisch dürftige Griffelskizzen, von denen eine (horizontal gespiegelte) Lilie, ein nackter Mann ohne Arme und mit übergroßem Geschlechtsteil, eine weitere männliche Figur (Hirt?) mit drei Schweinen und Architekturskizzen (vgl. S. 1) erkennbar sind
- S. 354 probationes pennae, 9.–13. Jh.
- S. 355 verschiedene Fragmente und Notizen unter anderem den versus de fungo (MGH Poet. Lat. IV/1, S. 336)
- S. 356 wohl Rest des früheren Spiegelblattes (nach Scarpatetti, S. 219), kleine gotische Minuskel (Anfang 13. Jh.)
Weitere digitalisierte Orosius-Handschriften:
Quellen:
- Pauli Orosii Historiarum adversum paganos libri VII. Accedit eiusdem Liber apologeticus, hg. von Carl Zangemeister, Wien 1882 (CSEL 5)
- Pauli Orosii Historiarum adversum paganos libri VII, hg. von Carl Zangemeister, Leipzig 1889 [= editio minor; Edition der capitula aus dem Codex 621]
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Orose, Histoires (Contre les Païens), tome I–III, texte établi et traduit par Marie-Pierre Arnaud-Lindet, Paris 1990f.
- Orosius, Paulus, Die antike Weltgeschichte in christlicher Sicht, übers. u. erläutert von Adolf Lippold, 2 Bde., Zürich 1985f.
- Clark, J. N. C., The Annotations of Ekkehart IV. in the Orosius-Ms. St. Gall 621, in: ALMA (1932) S. 5–35 [Teiledition einiger Glossen; Aufsatz online verfügbar]
- [Computatio] Computatio A. CCCCLII, in: MGH AA IX [Chronica minora saec. IV.V.VI.VII, Bd. 1], hg. von Theodor Mommsen, Berlin 1892, S. 149–153 [Edition computatio S. 3f.]
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Ekkehardi IV. casuum S. Galli Continuatio I. (Tab. IV, V, VI), hg. von Ildefons von Arx, in: MGH SS II, hg. von Georg Heinrich Pertz, Hannover 1829 (ND 1976), S. 75–147 [Tab. IV, zwischen S. 100 und 101 mit den autographischen Zeilen Notkers]
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Ekkehardi (IV.) Casus sancti Galli, hg. von Gerold Meyer von Knonau, St. Gallen 1877 (MVG NF 5/6)
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Ekkehardi IV. Casus sancti Galli. Ekkehard IV. St. Galler Klostergeschichten, hg. von Hans F. Haefele, Darmstadt 1980 (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 10)
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Der Liber Benedictionum Ekkeharts IV. nebst kleinern Dichtungen aus dem Codex Sangallensis 393, hg. von Johannes Egli, St. Gallen 1909 (MVG 31, 4. Folge 1)
- Eusebius Werke, Die Kirchengeschichte, hg. von Eduard Schwartz, Die lat. Übersetzung des Rufinus, bearb. von Theodor Mommsen, Leipzig 1903 (Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte (GCS) II/1), S. 9–41 [Additamenta ex Eusebii historia ecclesiastica 1,1,8 – 1,4,8]
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Ymmoni fratri post abbati Ekkehart de lege dictamen ornandi, in: MGH Poet. Lat. V/1, hg. von Karl Strecker, Leipzig 1937, S. 531–533 [Edition dictamen S. 352]
- [Versus de fungo], in: MGH Poet. Lat. IV/1, hg. von Paul von Winterfeld, Berlin 1899 (ND 1978), S. 336 [versus S. 355]
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Die althochdeutschen Glossen, Bde. I–V, hgg. von Elias Steinmeyer und Eduard Sievers, Berlin 1879–1922 (ND Dublin 1968f.); Bd. II, S. 358f., Bd. IV, S. 453
Darstellungen:
- Bruckner, Albert (Hg.), Scriptoria medii aevi Helvetica. Denkmäler der schweizerischen Schreibkunst des Mittelalters, Bd. III: Schreibschulen der Diözese Konstanz. St. Gallen 2, Genf 1938, S. 114
- MBK, Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz, hg. von der bayerischen Akademie der Wissenschaften, bearb. von Paul Lehmann, Bd. 1: Die Bistümer Chur und Konstanz, München 1918, S. 86f.
- Dümmler, Ernst, Ekkehart IV. von St. Gallen, in: Zeitschrift für deutsches Altertum 14, NF 2 (1869) S. 1–73
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Miller, Konrad, Mappaemundi. Die ältesten Weltkarten, Bd. 6, Stuttgart 1898, S. 62
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Mortensen, Lars Boje, The Diffusion of Roman Histories in the Middle Ages. A List of Orosius, Eutropius, Paulus Diaconus and Landolfus Sagax Manuscripts, in: Filologia mediolatina. Studies in Medieval Latin Texts and their Transmission VI/VII (1999–2000) S. 101–200 [die Liste (S. 101–165) ist im Internet publiziert; Änderungen und Ergänzungen sind erwünscht]
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Scarpatetti, Beat Matthias von, Die Handschriften der Stiftsbibliothek St. Gallen, Bd. 1: Abt. IV: Codices 547–669: Hagiographica, Historica, Geographica, 8.–18. Jahrhundert, Wiesbaden 2003, S. 219–221 [Hauptreferenz; mit weiterer Literatur]
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Scarpatetti, Beat M. von et al. (Hgg.), Katalog der datierten Handschriften in der Schweiz in lateinischer Schrift vom Anfang des Mittelalters bis 1550, begr. von Albert Bruckner, Bd. 3, Dietikon-Zürich 1991, Nr. 760 (S. 245), Abb. 770 [Cod. Sang. 621, S. 320–321]
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Scherrer, Gustav, Verzeichniß der Handschriften der Stiftsbibliothek von St. Gallen, Halle 1875, S. 202
Siehe auch die Kurzbeschreibung unter e-codices.
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